Landtagswahlen: Die Afd als Arbeiterpartei?

Ein unfertiger Diskussionsansatz

Anmerkung: Der Text entstand direkt nach den Landtagswahlen von Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg (03 / 2016).

Was ist eigentlich die Kernbotschaft der AfD? Offenkundig hat „national“ und „sozial“ schon mal gut funktioniert. Aber warum jetzt wieder?
Geht es um Jobs und Aufstiegsversprechen? Um Abstiegsängste?

Nach den gestrigen Wahlen muss man einsehen: mit Aufrufen „Gegen Rechts“ und für mehr Wahlbeteiligung wird man das „Problem“ nicht los.
Billige Lösungsansätze scheinen zu funktionieren.
Wählen die Menschen Afd aber nur, weil sie gegen Flüchtlinge oder gegen den Euro sind und inhaltlich voll hinter den kruden Thesen der Alternative stehen?
Oder gibt es da tiefgründigere Probleme, die es zu erkennen gilt? Weshalb haben sie die Ängste?
Bieten die anderen Parteien eigentlich die Lösungen, die sich ihr Klientel von Ihnen verspricht?

Die AfD ist eine Partei, die sich clevererweise eben nicht den Ausstieg aus der Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben hat, sondern die einerseits „die nationalen Werte“ bewahren will (konservativ), um andererseits einen Aufstieg durch Veränderung des Bestehenden zu versprechen (progressiv). Zumindest erstmal keinen Abstieg.
Es verwundert daher nicht, dass in Ländern wie Baden-Würtemmberg oder Sachsen-Anhalt die SPD als klassische Arbeiterpartei in die Bedeutungslosigkeit rutscht. in Sachsen-Anhalt halbiert wohlgemerkt. Während die CDU mehr oder minder auf einem bürgerlichen Boot um die 30% sitzt. (Wenngleich die CDU in Teilen eben auch eine sozialdemokratische Partei ist).

Aussitzen kann man diese Situation sicher nicht. Diese Hoffnung hatten andere Länder schon bei der FPÖ und bei der Front National (ja, die Front, weil die Partei).
Noch dazu hat die AfD eine Führungsriege, der es um Aufmerksamkeit im Sinne erfolgreicher PR geht. Zuspitzen, das können sie. Machtbewusst sind sie. Abgrenzen, tun sie.
So ist die AfD auch keine Partei der Schmuddelkinder wie die NPD oder die DVU (Edit 2017: Halbherzig nur. Siehe Parteiausschlussversuch Höckes aus reinen Machtgründen), die – genau wie islamistische Zirkel – den Charme eines Clubs für junge Männer ausstrahlen, die es bei den Hells Angels, der Mafia, etc. nicht geschafft haben. Einfache Thesen mit knallharten Aussagen. Da weiß jeder, woran er ist. (Was den Charme eben für „angry young men“ ausmacht, die denken, vermeintlich nirgendwo sonst Karriere machen zu können).

Insbesondere ist „Bewahren“ aber einfacher als das Versprechen, durch Arbeit den Aufstieg zu schaffen. Das wird und wurde für manche offenbar nicht mehr eingelöst.
Was vermutlich nicht der Fehler der SPD ist, sondern einen tiefergehenden Wandel andeutet. Deutschland ist kein Industrieland wie in der Bonner Republik mehr, Facharbeiterjobs brechen weg. Waren Anfang der 90er noch 30% der Menschen in der Produktion beschäftigt, sind es nunmehr weniger als 20%. Tendenz fallend, da der Autostandort Deutschland schon bald auf Nockenwellen, Antriebsstränge etc. verzichten lernen muss, wenn man die Fortbewegung weiter elektrifiziert.
Was machen die ganzen Zulieferer dann, die Werkstätten, wenn keine Ölwechsel, kein Zahnriemenwechsel mehr ansteht?
Die Ängste eines Teils der Bevölkerung vor Perspektivlosigkeit am Arbeitsmarkt sind also vermutlich nicht unbegründet. (Industrie 4.0 wird dieses Problem nicht lösen, sondern in der Tendenz verstärken).
Meine These ist daher, dass die AfD diese Ängste (genau wie bei der Euro-Kritik) aufgreift und sich damit als Anwalt der Vernachlässigten aufspielt. Ohne freilich echte Lösungen bieten zu können.
Sind die Wähler der AfD also alle fremdenfeindlich, im Sinne von kulturfeindlich? Oder muss man es auf die Frage reduzieren, ob manche in Zeiten von Zeitarbeit, unbefristeten Verträgen nicht schlicht Angst haben, noch weniger vom Kuchen zu bekommen?
Sich nicht vorstellen können, ihr kleines Stück weiter zu teilen.
Deutschland ist Exportweltmeister, die Generation Y verdient aber im Vergleich zur Elterngeneration deutlich weniger.
Laut der gestrigen ZDF-Grafik konnte man sehen, dass 75% der AfD-Wähler diese aus Protest gegen die anderen Parteien gewählt haben. Weil diese ihre Probleme nicht mehr lösen können?
Konnte man in den 70ern und 80ern von einem Facharbeitergehalt ein Haus bauen und mit den Kindern in Urlaub fahren, sieht es heutzutage damit wohl eher schlecht aus.
Eine Ungleichverteilung von Vermögen ist das, was den Menschen Sorgen bereitet. Die einen weil sie keins haben, die anderen weil sie kein Auffangnetz mehr sehen.
Dazu Lösungsansätze der Etablierten, die das Kernproblem nur wenig berühren. Forcierung der Akademisierung, mehr Abiturienten heißt erstmal nur, dass die Leute länger vom Arbeitsmarkt weg sind. Auch wenn eine breite Bildungsinitiative zu begrüßen ist, schafft Bologna keine Erfinder, sondern erstmal nur Papiertiger.
Zurück zum Thema: die einen haben Angst vor  dem Abstieg und der Rente, die anderen Angst davor, dass ihre Kinder diese Probleme vererbt bekommen.
Was gewisse konservative Wählerkreise ansprechen dürfte, die sich etwas aufgebaut haben und dieses glauben, verteidigen zu müssen.
Ich wehre mich übrigens an dieser Stelle gegen den üblichen links-rechts-Gedanken.
Konservativ (rechts) ist nicht gleich undemokratisch und progressiv (links) ist nicht gleich Gutmensch.
Selbst Joachim Fest schrieb mal in der TAZ, dass Hitler auch als Linker bezeichnet werden könnte. Gerade wegen der Ansprache der Arbeiter.
Schlussendlich bedient sich die AfD eben bewusst dieses Erfolgsrezepts, dass man sie nicht genau festnageln kann: National (abgrenzend) und sozial.
Rechts UND links und mit undemokratischen, menschenfeindlichen Lösungsansätzen.
Man erwischt die Bürgerlichen, die sich eine starke Nation wünschen und die Arbeiter, die sich in das Bürgertum hocharbeiten und dort bleiben wollen.
Zu allererst ist es daher m. E. die SPD die unter den Linken wie der AfD zu allererst zu leiden hat. Wie es schon in der Weimarer Republik war. Alle schlagen sich um die Aufstiegswilligen.
Das rote Mannheim als Arbeiterhochburg hat dort ein Direktmandat an die AfD verloren.
Das Bürgertum wählt derweil Zentrum und denkt, dass man die Emporkömmlinge maximal dulden kann.
In Rheinland-Pfalz ist die Stärke der SPD übrigens damit zu erklären, dass es kein Arbeiter-Bundesland ist und die SPD dort bürgerlicher als anderswo ist. Das hat viele historische Gründe, auch bei Napoleon. Starke Verwaltung, viele Beamte, etc.
Erstmal bleibt festzuhalten:  in allen Ländern wurde der jeweilige MP bestätigt. Also auch der Wunsch, möglichst wenig zu ändern.
Nichts ändern wollen gegen alles ändern wollen: diese zwei Lager sollte man miteinander versöhnen – am besten über das Ansprechen von echten Problemen. Und nicht nur über die Frage, wie man ein Symptom (aktuell Flüchtlinge, vormals der Euro) am besten behandelt.

Deutschland kann es sich (noch) leisten, über dieses Symptom und das möglicherweise vorhandene Problem dahinter zu diskutieren. Zeigen wir unseren Nachbarn daher, wie man solche Probleme löst.
Dass Augen zu und Tür zu kein echter Ansatz ist, versteht sich unter Erwachsenen von selbst.
Reden wir nun mal über Dinge wie Reallohnentwicklung, Zeitarbeit, unbefristete Verträge etc. Echte Transparenz in allen Fragen. Dann kommen wir näher an des Pudels AfD-Kern.

Sonst bleibt es beim Erfolgsrezept: Programmatisch dem nationalkonservativen Bürgertum nahe, im Heilsversprechen der Rettungsring für die Arbeiterschaft – das hatten wir schon mal.

  • Christopher

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